"Wir liefern sozusagen den Treibstoff für das Smart Hospital." Dr. med. Felix Nensa
Mensch & Maschine als perfektes Team
Auf dem Weg zum Smart Hospital
Die Universitätsmedizin Essen (UME), führend in zahlreichen Fachgebieten, ist eine hoch komplexe Welt für sich. Eine, in der schon bald die Vision des vernetzten Smart Hospital Wirklichkeit werden soll.
Die UME gilt als Digitalisierungs-Vorreiter, viele Technologien sind schon im Klinikalltag angekommen. Dr. med. Felix Nensa, Radiologe und Spezialist für Machine Learning, ist einer der zentralen Protagonisten auf dem Weg zum Smart Hospital. Er arbeitet in einer der Herzkammern des digitalen Wandels in der UME, dem Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie. Hier geht Felix Nensa der Frage nach, wie Künstliche Intelligenz ganz praktisch die Mediziner-Arbeit unterstützen kann. "Wir liefern sozusagen den Treibstoff für das Smart Hospital", sagt der Mediziner.
Überblick auf Knopfdruck
Der Treibstoff, das sind in diesem Fall die Daten aus der gesamten UME-Maschinerie. Das Data-Integration-Team am Institut erfasst und vereinheitlicht dafür alles, was die insgesamt 450 organisch gewachsenen IT-Systeme hergeben. Tumor-Dokumentationen ebenso wie mikrobiologische Untersuchungsergebnisse, Daten aus der Virologie, der Transfusionsmedizin oder der Materialwirtschaft.
"Es reicht quasi ein Knopfdruck, um zu sehen, ob noch ausreichend FFP 2-Masken auf Lager sind oder wo sich ein Patient gerade in unseren Kliniken befindet", erklärt Nensa. Gerade zu Beginn der Corona-Krise habe sich der aggregierte Daten-Pool als wahrer Schatz erwiesen: "Als das Management Ende Februar Alarm geschlagen hat, dass eine Pandemie im Anzug ist, haben die Kollegen übers Wochenende eine passende technische Lösung gebaut."
Wie viele Intensivbetten sind aktuell noch frei - und wo stehen sie? Wer kommt aus der Klinik in häusliche Quarantäne? Solche Daten finden sich jetzt in einer permanent aktualisierten Gesamtsicht, die teilweise per Bot vollautomatisch erfasst und verteilt werden.
Knochenalter bestimmen mit Künstlicher Intelligenz
Corona hat aber höchstens noch beschleunigt, was in Essen ohnehin gelebte Praxis ist. Weil das Data Integration-Team auch Wettervorhersagen in seine Modellierungen einbezieht, können etwa die Transfusionsmediziner sich hier besser auf Hochzeiten wie die ersten frühlingshaften Wochenenden im Jahr einstellen: Erfahrungsgemäß ist dann mit vielen verunglückten Motorradfahrern zu rechnen, die passende Bluttransfusionen benötigen. Kinderärzte profitieren von Machine Learning-Anwendungen, die in kürzester Zeit das Alter der Knochen in Kinderhänden berechnen, Onkologen von neuronalen Netzwerken, die sämtliche Biomarker in Tumoren erfassen. Und brauchen Leberchirurgen eine valide Einschätzung dazu, ob noch genug eigenes Organmaterial bei Transplantations-Kandidaten vorhanden ist, hilft auch ihnen in den UME-Kliniken eine spezielle KI-Lösung. Anhand von Bildern aus dem Computertomographen wertet sie binnen weniger Sekunden das Gewebe aus - und gibt dem Operateur so wichtige Hinweise dazu, ob und wie er den Eingriff vornehmen kann.
Ob Künstliche Intelligenz langfristig die behandelnden Ärzte überflüssig macht? "Natürlich nicht", sagt Felix Nensa. "Sie nimmt uns aber die aufwändigen Berechnungen ab, die sonst etwa in der Radiologie viel Zeit kosten. Und wenn behandelnde Mediziner sie mit eigenen, abweichenden Einschätzungen füttern, bezieht die Maschine das natürlich mit ein."
Hintergrunddienste für die Perspektive der Anwender
Nensa ist im Grunde selbst ein Paradebeispiel dafür, wie IT-Know-how und ärztliche Tätigkeit im Idealfall zusammenwirken. Zeitweise hat er selbst Informatik studiert, das eigene Startup aber nach einiger Zeit zugunsten der Medizin wieder aufgegeben. Neben der Arbeit am Institut übernimmt der Radiologie-Oberarzt auch heute noch Hintergrunddienste, um die Anwenderperspektive im Blick zu behalten.
"KI wird zum Rohrkrepierer, wenn ein Mediziner seinem Patienten nicht erklären kann, warum die Daten genau diese Operation nahelegen und nichts anderes", meint er. Umso wichtiger seien zum Beispiel User-Experience-Experten im Team, die Programme so gestalten, dass auch weniger IT-affine Kollegen sie einfach bedienen und verstehen können. Damit, wie Nensa es nennt, die "Mensch-Maschine-Interaktion" gelingt und beide sich zum perfekten Team ergänzen.
KI-Lösungen stark nachgefragt
Skepsis und Blockadehaltung solchen Ideen gegenüber erlebt er in der UME-Mannschaft jedenfalls nicht: Erst seit März etwa ist das mit den zentralen Datenbanken verknüpfte, interne Messaging-System im Einsatz, das Nensa mit seinen Kollegen entwickelt hat. Dennoch hat es sich bereits konzernweit durchgesetzt. Ärzte klären Befunde miteinander ab, die Pflege kann jederzeit darüber informieren, welcher Patient sich gerade wo im Haus befindet. Felix Nensa treibt insofern weniger die Sorge um, dass traditionelle Digitalisierungs-Verweigerer den Wandel bremsen könnten. Sein KI-Spezialisten-Team wächst explosionsartig.
"Die Herausforderung ist eher, bei der Flut der Anfragen nach KI-Lösungen noch hinterherzukommen. Da gibt es so viele guten Ideen von Medizinern, die ich gerne umsetzen würde - wenn ich nur genug Zeit im Alltag dafür hätte."