Dr. med Timm Strotmann-Tack, Chefarzt der Gerontopsychiatrie der LVR-Klinik in Viersen
"Viele wollen am liebsten gar nicht mehr nach Hause"
Wege durch die Corona-Krise: Drei Ärzte erzählen
Freiluft-Sprechstunden, Schichtmodelle, ausgefeilte Hygiene-Konzepte: Wie Humanmediziner in Praxis und Klinik sich in den vergangenen Monaten auf COVID-19 eingestellt haben - und was sie sich für die Zukunft wünschen. Ein Psychiatrie-Chefarzt, eine niedergelassene Internistin und ein selbständiger Urologe berichten.
Arbeiten zu Corona-Zeiten in der LVR-Klinik Viersen
Dr. med Timm Strotmann-Tack, 51 Jahre, ist Chefarzt der Gerontopsychiatrie der LVR-Klinik im niederrheinischen Viersen. Zu seiner Abteilung zählen je eine Station für Seniorinnen und Senioren mit affektiven Störungen und für Menschen mit Demenz-Erkrankungen, außerdem Einrichtungen wie eine Tagesklinik und eine Institutsambulanz.
"Wir haben alles ziemlich engmaschig geregelt - und das hat sich bislang ausgezahlt. Alle, die wir aufnehmen, werden auf das Virus getestet. Oft ist das gar nicht so einfach in der Psychiatrie, weil manche Neuankommende desorientiert oder verängstigt sind. Ist ein Befund unklar, bringen wir die Betreffenden auf meinen Stationen erst einmal in einem Einzelzimmer unter. Für den Fall der Fälle hat die Klinik außerdem eine Isolationsstation eingerichtet. Meine Patientinnen und Patienten gehören allein durch ihr Alter zur Hochrisikogruppe, deshalb mussten wir in den vergangenen Monaten sehr strikt sein: Die Musiktherapie etwa haben wir zunächst ganz ausgesetzt, Ergotherapie gibt es nur noch eingeschränkt. Weil die Räumlichkeiten etwas beengt sind, hatten wir die Tagesklinik zeitweise ganz geschlossen. Besuche waren außer in Ausnahmesituationen tabu. Natürlich ist das hart für alle gewesen, aber offenbar genau richtig: Bislang hatten wir keinen einzigen COVID19-Fall hier am Standort.
Krisenstab entscheidet zentral
Schockiert hat mich zu Beginn, wie viel Schutzausrüstung abhandengekommen ist, Desinfektionsmittel zum Beispiel mussten wir zentral wegschließen. Was mir sehr bewusst geworden ist: Man muss immer wieder daran erinnern, dass die Hygiene-Maßnahmen unbedingt einzuhalten sind. In solchen Krisenzeiten braucht man klare Regeln und eine starke Führung, damit auch die Mitarbeitenden keine unnötigen Ängste entwickeln. Deshalb ist der Krisenstab so wichtig, den die Klinik gleich zu Beginn der Corona-Zeit eingerichtet hat. Darin sind die Leitungen aller Berufsgruppen vertreten, er bespricht sich täglich und entscheidet zentral, wie wir weiter vorgehen. Sehr hilfreich sind außerdem die sehr aktiven Hygiene-Fachkrankenschwestern hier in der Klinik, die eine 24-Stunden-Rufbereitschaft für die Belegschaft auf die Beine gestellt haben. So bekommen alle bei Unklarheiten zum Corona-Schutz schnell kompetente Antworten.
Inzwischen haben wir einiges lockern können. Angemeldete Besuche sind wieder möglich, dafür haben wir extra einen Pavillon unter freiem Himmel eingerichtet. Auch den Betrieb der Tagesklinik und die Gruppentherapien fahren wir schrittweise wieder hoch. Es bleibt ein Fahren auf Sicht, niemand weiß, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Dass wir Psychiaterinnen und Psychiater mehr denn je gebraucht werden, merken wir aber sehr deutlich: Viele Menschen haben sich in den letzten Monaten zuhause sehr einsam gefühlt, oft haben sich psychiatrische Krankheitsbilder verschlimmert. Manche unserer stationären Patientinnen und Patienten wollen am liebsten gar nicht mehr zurück in die eigenen vier Wände, weil sie sich hier besser geschützt fühlen vor der Pandemie."
Praktizieren im Coronajahr in einer internistischen Hausarztpraxis
Dr. med. Vera Klusmann, 48 Jahre, betreibt in Meerbusch gemeinsam mit einer Kollegin eine internistische Hausarztpraxis. Sie meint "Das Gesundheitssystem war schlecht vorbereitet auf diese Pandemie."
"Zu Beginn der Krise hatten wir große Probleme, an Schutzausrüstung zu kommen. Zeitweise mussten wir uns mit einer einzigen FFP-2-Maske behelfen, die uns ein befreundeter Zahnarzt überlassen hatte. Weil viele unserer Patienten schon älter sind, waren wir deshalb in den ersten Wochen recht radikal: Wir haben alle gebeten, vor einem Besuch in der Praxis anzurufen. Bei Verdacht auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 haben wir die Leute direkt ans Gesundheitsamt verwiesen und auch sonst die meisten Patientenkontakte aufs Telefon verlagert. Anders hätte ich das ohne ausreichenden Schutz nicht verantworten können. Das hat überraschend reibungslos funktioniert, selbst viele Patienten, die in Altenheimen leben, kamen gut mit der telefonischen Beratung zurecht. Oft ging es auch hauptsächlich darum, die Menschen zu beruhigen.
Testen im beheizbaren Pavillon
Inzwischen sind wir gut ausgestattet und führen natürlich auch selbst Tests auf das Virus durch, dafür haben wir extra einen winterfesten, beheizbaren Pavillon im Hof der Praxis aufgestellt. Diese Investition war uns wichtig, trotz der finanziell unerfreulichen ersten zwei Pandemie-Monate. Noch ist ja nicht geklärt, inwieweit die KVen diesen Rückgang kompensieren werden. Zwei Monate lang waren unsere Angestellten in Kurzarbeit. Umso mehr freut mich, dass alle nach wie vor so gut mitziehen, obwohl viele selbst zur Risikogruppe gehören.
Was mir bei meinen Patienten auffällt: Viele haben in den letzten Monaten zugenommen, mehr Alkohol getrunken, bei Diabetikern haben sich die Zuckerwerte verschlechtert. Gerade bei den Pflegekräften unter ihnen ist auch die Überlastung der letzten Zeit offensichtlich. Es gibt mir schon zu denken, dass unser Gesundheitssystem trotz aller Vorwarnungen und Pläne in den Schubladen so schlecht vorbereitet war auf diese Pandemie. Das darf nicht nochmal passieren, das Lagern von Unmengen an Schutzausrüstung kann man nicht den einzelnen Praxen aufbürden. Wobei Corona uns immerhin in Sachen Digitalisierung einen Schub gebracht hat: Wir zum Beispiel führen jetzt eine Videosprechstunde ein. Ich habe sogar eine 94-jährige Patientin, die sich darauf freut."Die vergangenen Monate in einer BAG mit drei Standorten
Dr. med Jesco Jungklaus, Urologe und Androloge, arbeitet mit weiteren Kollegen in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft mit Standorten in Düsseldorf, Ratingen und Heiligenhaus. Er meint: "Solche Konzepte funktionieren nur in größeren Praxen."
Dr. med Jesco Jungklaus, Urologe und Androloge, arbeitet mit weiteren Kollegen in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft mit Standorten in Düsseldorf, Ratingen und Heiligenhaus. Er meint: "Solche Konzepte funktionieren nur in größeren Praxen"
"Als die Pandemie losging, mussten wir uns den nötigen Vorrat an FFP-2-Masken erst einmal selbst kaufen. Wir hatten uns zum Glück schon lange vor dem Lockdown ausreichend auf die neue Situation eingestellt. Zusätzliche Desinfektionsspender standen bereit, die Plexiglas-Scheiben an der Anmeldung waren angebracht und die Laufwege in der Praxis markiert. Trotzdem hagelte es in den ersten zwei Wochen des Lockdowns Termin-Absagen, die Patienten hatten einfach zu viel Angst vor einer Ansteckung.
Teams in Schichten eingeteilt
Damit wir nicht schließen müssen, falls sich jemand von uns infiziert, haben wir außerdem ein Schichtmodell am Düsseldorfer Standort eingeführt. Ein Behandlungsteam ist ab frühmorgens am Start, ein anderes ab dem frühen Nachmittag. Ein weiterer Arzt arbeitet weiter wie zuvor, sodass maximal zwei Mediziner zugleich im Einsatz sind. Wir behandeln jetzt durchgehend von 8.00 bis 18.00 Uhr, auch am Mittwoch- und Freitagnachmittag. So können wir den Patienten garantieren, dass sich zu bestimmten Zeiten höchstens noch eine weitere Person zur Behandlung in der Praxis aufhält. Klar: Solche Konzepte funktionieren nur in größeren Praxen mit vielen Angestellten. Auch dass unsere Räume recht großzügig geschnitten sind, hilft uns jetzt.
Bei den Patienten kommt das alles gut an, zumal wir mehr Zeit für jeden Einzelnen gewonnen haben. Wir besprechen Befunde mittlerweile auch mal ausführlich am Telefon, weil viele ohnehin tagsüber im Home-Office arbeiten. Videosprechstunden folgen demnächst, um unnötige Praxisbesuche zu vermeiden. Wobei mich fast gewundert hat, wie schnell die Patientinnen und Patienten nach dem ersten Schock wieder bei uns waren: Urologische Beschwerden wie etwa eine Nierenkolik oder Harnverhalt sind eben häufig extrem schmerzhaft, da ist akutes Handeln geboten.
Bis auf den Einbruch zu Beginn ist unsere Praxis bis dato recht gut durch die vergangenen Monate gekommen. Das Ziel, keine Kurzarbeit anmelden und niemanden entlassen zu müssen, haben wir jedenfalls erreicht. Wir alle werden noch längere Zeit mit dieser Pandemie leben müssen, also ist Verantwortung gefragt: Nur wenn alle sich an die Hygieneregeln halten, kann auch jeder unbesorgt zum Arzt gehen."