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Stethoskop mit vernetzten digitalen Inhalten

Gesundheits-Apps in die Regelversorgung bringen

Ein Erfahrungsbericht von HNO-Arzt und Kalmeda-Gründer Dr. Uso Walter

Von der Idee in die Gesundheitsversorgung: Tinnitustherapie via Smartphone

Dr. med. Uso Walter über seine App Kalmeda

November 2020

Lange wurde diskutiert, nun sind sie endlich da: Die ersten digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind Teil der Regelversorgung. Im Gegensatz zu herkömmlichen Fitness-Apps, handelt es sich bei den "Apps auf Rezept" um zertifizierte Medizinprodukte mit positivem Versorgungseffekt. Die Idee der digitalen Helfer: Patienten sollen sowohl bei der Erkennung als auch bei der Behandlung von Krankheiten in ihrem privaten Umfeld nachhaltig unterstützt werden. Eine der ersten Anwendungen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgenommen wurde, ist die Tinnitus-App Kalmeda der mynoise GmbH. Das heißt: ab sofort können Ärzte die App ihren Patienten auf Rezept verordnen. Der Weg dorthin war kein einfacher, wie uns der Duisburger HNO-Arzt und Gründer Dr. med. Uso Walter im Interview erzählt.

Vom Praxisinhaber zum Gründer – Der Entstehungsprozess von Kalmeda

Der gebürtige Münsteraner ist seit 25 Jahren niedergelassener HNO-Arzt und hat in seiner Duisburger Praxis bereits vielen Patienten geholfen. Eine Indikation ließ ihm jedoch keine Ruhe: Tinnitus. Beim Tinnitus (lateinisch für "Klingeln der Ohren") nehmen die Betroffenen wiederholt Geräusche wie Pfeifen oder Summen wahr – jedoch ohne äußeren Anlass. "Die Herausforderung bei der Therapie ist, dass es weniger ein Ohr- als vielmehr ein Kopfproblem ist. Denn hier wird auf unterbewusster Ebene entschieden, wie Geräusche wahrgenommen werden und ob sie stören oder sogar psychische Schäden verursachen. Aus diesem Grund kommt man als HNO-Arzt bei der Therapie in vielen Fällen an seine Grenzen. Daher ist eine kognitive Verhaltenstherapie bei einem Psychologen die einzige wirksame Lösung. Aber meine Patienten haben keine Termine bekommen oder mussten lange darauf warten – und wenn die Behandlung erfolgte, kannte der behandelnde Psychologe die HNO-spezifischen Fragestellungen nicht ausreichend. Ich musste die Patienten quasi ohne nachhaltige Therapie nach Hause schicken", erklärt der 57-jährige.
Portraet HNO-Arzt Doktor Walter und Gruender von Kalmeda
Kalmeda-Gründer und HNO-Arzt Dr. med. Uso Walter

"Ich möchte die Tinnitus-Therapie neu denken und anders angehen."
Die Alternative lag für ihn auf der Hand: Eine digitale Anwendung, die jederzeit verfügbar ist und die Brücke zwischen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und der Psychotherapie schlägt. Da er keine zufriedenstellende Anwendung finden konnte, entwickelt Uso Walter seit 2015 gemeinsam mit dem Psychologen Dr. Stefan Pennig und den Programmierern eines externen Unternehmens die Kalmeda-App in Eigenregie. 2018 stieß auch Christof Schifferings als Geschäftsführer zum Team dazu.

Seit Anfang 2019 ist die App in den gängigen App-Stores erhältlich. Anfangs noch für Selbstzahler, mit Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis seit Oktober 2020 nun auch verordnungsfähig, sodass die Patienten für die Nutzung der App nicht mehr selbst zahlen, sondern die Kassen die Kosten erstatten.

So funktioniert die App gegen unerwünschte Ohrgeräusche

Kalmeda ist eine verhaltenstherapeutische App für Patienten mit chronischer Tinnitusbelastung. Ergänzt wird das Programm durch einen umfassenden Wissensteil zum Umgang mit Tinnitus und zur Förderung des Gesundheitsbewusstseins der Patienten, Entspannungsanleitungen sowie beruhigende Natur- und Hintergrundgeräusche. "Kalmeda hilft den Patienten die Störgeräusche im Unterbewusstsein nicht mehr wichtig zu nehmen. So kann das Gehirn diese Geräusche - ähnlich wie Atemgeräusche oder Herzschläge - wieder ausblenden", erklärt der Facharzt.

Wichtig war dem Gründer dabei von Anfang an, dass die Therapie leitliniengerecht sein muss. "Die Verhaltenstherapie ist mittlerweile in den Leitlinien verankert. Wir haben diese bewährte Behandlung lediglich digital transformiert und so jederzeit verfügbar gemacht. Dabei wird die bisherige Behandlung des Arztes sinnvoll ergänzt und auf keinen Fall ersetzt. Kalmeda fängt da an, wo der HNO aufhört", so Uso Walter.
Ansicht der Kalmeda Tinnitus App auf dem Smartphone

Auch die Behörde zeigt sich agil

Ende 2019 legte das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) den Grundstein für einen neuen Erstattungsweg. Erstmalig sollen DiGAs von Ärzten verordnet und von allen Kassen gezahlt werden. "Wir haben gleich im Januar 2020 einen formlosen Antrag zur Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis beim BfArM gestellt. Leider konnten wir nicht direkt loslegen, sondern mussten uns solange gedulden, bis der gesamte Prozess aufgesetzt war. Das brachte uns den Vorteil, dass wir von Anfang an im engen Austausch mit dem BfArM standen. Wir haben regelmäßig miteinander telefoniert. Die Mitarbeiter dort waren sehr agil und auch abends um halb neun noch für uns erreichbar", lobt der Heilberufler.

Jede Digitale Gesundheitsanwendung muss neben Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit auch einen "positiven Versorgungseffekt" nachweisen. Knapp die Hälfte der DiGAs, die vom BfArM geprüft werden, sind noch in der Erprobungsphase und haben zwölf Monate Zeit, einen Versorgungseffekt nachzuweisen. Auch Kalmeda ist zur Erprobung in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen worden. "Deshalb sehe ich meine ärztlichen Kollegen aber nicht als `Versuchskaninchen´", betont Uso Walter. "Wir haben die Kalmeda-App von Anfang an für eine Erstattung durch die Krankenkassen entwickelt. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl an Studien zum Wirkmechanismus der Online-Verhaltenstherapie. Sonst hätten wir die Zulassung zum Medizinprodukt gar nicht erhalten. Seit über einem Jahr sehen wir anhand der Daten, die in der App erhoben werden, dass es den Patienten mit der Behandlung bessergeht. Das lassen wir uns jetzt durch eine externe klinische Studie bestätigen."

Neue Anwendungen erfordern neue Wege der Information

Die Verordnung einer DiGA ist für Ärzte und Psychotherapeuten noch Neuland. Daher sind sowohl unter den Heilberuflern als auch unter den Patienten noch viele Fragen offen. "Wir informieren beide Interessensgruppen gleichermaßen. Auf YouTube haben wir Videos zur Behandlung von Tinnitus im Allgemeinen und zu Kalmeda im Speziellen bereitgestellt. Daneben arbeiten wir eng mit einem Pharmaunternehmen zusammen, das unsere Tinnitus-App über seinen Außendienst persönlich in den Praxen vorstellt und fachliche Fragen beantwortet. Dabei bekommt jeder Arzt ein Info-Paket beispielsweise mit Flyern zur Aufklärung der Patienten.

Fragen können per Mail auch direkt an uns als Hersteller adressiert werden – Unser Team, das zur Zeit aus Dr. Stefan Pennig sowie Christof Schifferings und mir besteht, antwortet innerhalb von 24 Stunden. Auch ein technisches Supportsystem, das bei den Programmierern eines externen Unternehmens angesiedelt ist, ist ständig erreichbar. Besonders freut uns das Interesse in Fachkreisen: Zurzeit bekommen wir täglich mehrere Anfragen von Kollegen, die sich für unsere digitale Lösung interessieren", berichtet der HNO-Arzt aus dem Alltag seines Medizin-Startups. Langfristig sind auch Auftritte auf Messen und Kongressen geplant.

Die Verordnung ist denkbar einfach

Will ein Arzt Kalmeda verordnen, kann er sich bekannter Wege bedienen: Auch eine DiGA-Verordnung wird auf dem rosa Papierrezept (Muster 16) ausgestellt. Die Kalmeda-App ist im Pharmaverzeichnis der Praxissoftware hinterlegt und kann bis zu vier Mal für 90 Tage verordnet werden. Der Patient bekommt buchstäblich die "App auf Rezept" verschrieben. Spätestens mit Einführung des E-Rezepts soll der Prozess digital ablaufen.

Dass die DiGAs auch für die Krankenkassen noch neu sind, merkt man daran, dass der Abrechnungsprozess zwischen dem DiGA-Hersteller und Krankenkasse teilweise noch sehr händisch abläuft und die eigentlich vorgesehenen Schnittstellen noch nicht überall eingerichtet sind. Dürfte sich Uso Walter etwas wünschen, dann würde er sich hier über einen automatisierten Ablauf freuen.

„Mein Ziel ist es, die Versorgung der Patienten zu verbessern“

Auch wenn die weitere Entwicklung der DiGAs von vielen unbekannten Variablen geprägt ist, blickt der Facharzt positiv in die Zukunft: "Die Möglichkeit, Kalmeda über alle gesetzlichen Krankenkassen abrechnen zu können, ist für uns als junges Unternehmen ein großer Schritt. Wir müssen jetzt nicht mehr mit jeder Krankenkasse individuelle Selektivverträge aushandeln.

Ich gehe meiner ärztlichen Tätigkeit in meiner Praxis weiterhin mit großer Leidenschaft nach und habe es mir zum Ziel gemacht, die Versorgung meiner Patienten zu verbessern. Aus diesem Grund möchte ich mit meinem Team an dieser Stelle nicht stehen bleiben. Um die Therapie noch passgenauer für den Tinnitus-Patienten zu machen, sammeln wir kontinuierlich User-Feedback ein und arbeiten an einer weiteren Individualisierung der App. Auch eine englischsprachige Version ist geplant, denn das Ausland verfolgt sehr genau, welche Innovationen in Deutschland auf den Markt kommen. Der DiGA-FastTrack könnte auch internationale Strahlwirkung haben."

Zur Person

Nach seiner Facharztausbildung und Oberarzttätigkeit in Duisburg und der Promotion zum Dr. med. ließ sich Dr. Uso Walter 1996 als HNO-Arzt zunächst in eigener Praxis in Duisburg nieder. 2009 gründete er mit einem Kollegen eine Gemeinschaftspraxis in neuen Räumlichkeiten. Neben der Praxistätigkeit und der Geschäftsführung der mynosie GmbH, die die Kalmeda-App entwickelt, engagiert er sich als Vorstandsvorsitzender beim Facharztnetz HNOnet NRW eG und will auch andere Kolleginnen und Kollegen für die digitale Praxis begeistern.

Sie wollen mehr über die Kalmeda Tinnitus-App wissen? Dann besuchen Sie die Kalmeda-Homepage.